Source: FT Deutschland; EU forciert beitritt der Türkei; Nov 27, 2002

 

Die Europäische Union dürfte der Türkei die Chance eröffnen, noch in diesem Jahrzehnt EU-Mitglied zu werden. Allerdings muss die Türkei dazu Bedingungen erfüllen. Bei ihrem Gipfeltreffen Mitte Dezember in Kopenhagen werden die Regierungschefs der EU Ankara nach Angaben aus EU-Kreisen mit großer Wahrscheinlichkeit eine bedingte Zusage zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen geben. Dies liefe darauf hinaus, die Verhandlungen 2004 oder spätestens 2005 zu beginnen. Voraussetzung wäre, dass die Türkei zum vereinbarten Prüftermin nach Brüsseler Einschätzung die ökonomischen und politischen Standards für die Mitgliedschaft erfüllt.

 

Die Gespräche über die genaue Gestaltung des Angebots an die Türkei seien bisher zwar weder auf EU-Ebene noch unter den Regierungen abgeschlossen, wird in den EU-Kreisen betont. Doch zeichne sich ein klarer Trend dafür ab, Ankara einen Termin zu nennen, an dem die EU spätestens über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entscheiden werde - sofern die Türkei die Kriterien erfülle. Als Terminspektrum werde ein Zeitraum zwischen Ende 2003 und Ende 2004 favorisiert. In einigen einflussreichen Hauptstädten wird der EU-Gipfel im März 2004 als idealer Zeitpunkt genannt.

 

Beitritt noch vor 2010 möglich

 

Sobald die EU Ankara die Beitrittsreife bescheinigt, gerät sie unter starken Druck, die Verhandlungen mit der Türkei rasch aufzunehmen. "Es ist eine Illusion zu glauben, dass man solche Beitrittsverhandlungen dann beliebig lange hinauszögern oder ausdehnen kann", heißt es in EU-Kreisen. Sollte die neue türkische Regierung den Reformforderungen der EU in den nächsten 18 Monaten entsprechen, sei ein Beitritt der Türkei zur EU noch vor 2010 eine realistische Annahme.

 

Damit rückt die Perspektive des türkischen EU-Beitritts wesentlich näher, als viele Politiker in der EU es bis heute wahrhaben wollen. Die EU-Politik ist zwar formell auf einen Beitritt der Türkei ausgerichtet. Bisher galt dabei aber die Annahme, dass es Jahrzehnte dauern werde, bis die Türkei die Standards bei Menschen- und Bürgerrechten sowie demokratischen Strukturen einhalten würde. Die Beschleunigung des türkischen Reformprozesses im vergangenen Sommer und die Reformankündigungen der neuen Regierung in Ankara haben diese politisch bequeme Annahme zerstört. Auch die USA dringen darauf, dem Nato-Partner Türkei schnell eine klare Perspektive für die Aufnahme in die EU zu geben.

 

CSU gegen Beitritt

 

Ausschlaggebend für das genaue EU-Angebot an die Türkei könnte der dem Kopenhagener Gipfel vorgeschaltete deutsch-französische Gipfel am 4. Dezember werden, hieß es in EU-Kreisen: "Viele Regierungen haben sich noch nicht festgelegt. Zumindest einige Hauptstädte dürften warten, ob sich Deutsche und Franzosen auf eine gemeinsame Position einigen."

 

Die französische Regierung tritt in der EU als Anwältin einer eindeutigen Offerte an die Türkei auf. In den vergangenen Wochen galt dies auch für die Bundesregierung. Doch es wird in den EU-Hauptstädten aufmerksam verfolgt, dass die CDU/CSU-Opposition einen türkischen EU-Beitritt zum Wahlkampfthema machen könnte. Am Wochenende hatte sich die CSU als erste deutsche Partei gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Dies könnte Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Vorsicht veranlassen, schätzen Brüsseler Diplomaten.

 

Der als Prüftermin diskutierte EU-Gipfel im März 2004 bietet nach Analyse von Diplomaten mehrere Vorzüge. Zum einen wären zu diesem Zeitpunkt die Ratifikationsverfahren der zunächst anstehenden EU-Osterweiterung nach jetziger Zeitplanung bereits abgeschlossen. Zum anderen würde die Prüfung der türkischen EU-Beitrittsreife aber noch zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die 15 jetzigen EU-Mitglieder darüber allein entscheiden könnten. Als Termin für die Aufnahme der nächsten zehn EU-Mitglieder ist der 1. Mai 2004 vorgesehen. Das hätte den Vorzug, dass beim Frühjahrsgipfel 2004 die Neumitglieder und vor allem das in dieser Frage womöglich schwierige Zypern kein Vetorecht gegen die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hätten. Top

 

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